WIR JUSTIEREN!
WARUM WIR NICHT EINRENKEN ODER MANIPULIEREN

Manipulieren? Einrenken? Justieren!
Spätestens seit der Gender-Debatte wissen wir, wie viel Einfluss Denkkultur auf die Sprache und Sprache auf das Denken hat. Das mag nervig sein und teilweise zugegebenermaßen auch irgendwie skurril- aber es lädt ein zur Reflexion. Was glaube ich und wie möchte ich es in meiner Wortwahl vertreten?
Wir sind ja bereits auf den Zug aufgesprungen, indem wir endlich das wenig stimmige Wort Patient aus unserem Chiropraktik-Alltag verbannt und es durch Justy ersetzt haben.
Dass du bei uns justiert wirst und nicht manipuliert, niemals eingerenkt und noch nicht einmal behandelt, ist schon lange klar. Aber was ist denn da eigentlich der Unterschied (aus unserer Sicht)?
Einrenken ist schnell erklärt, denn es ließe sich ja nur an einem Gelenk anwenden, welches ausgerenkt wäre. Wie wir schon in Knick Knack Knuck beschrieben haben, passiert das zum Glück fast nur und auch da eher selten am Schultergelenk: Eine ausgekugelte Schulter ist ausgerenkt. Wir renken bei euch in diesem Sinne nie etwas ein.
Manipulation ließe sich als Begriff schon eher gebrauchen und wird es auch in einigen beruflichen Kontexten. Per definitionem ist sie „das Separieren sich gegenüberliegender Gelenksoberflächen eines Synovialgelenks, bedingt durch eine Kraft perpendikular zu diesen Gelenksoberflächen, die zu einer Cavitation in der Synovialflüssigkeit dieses Gelenkes führt.“ Auf Deutsch: Durch eine senkrechte Kraft auf ein Gelenk, welches über eine Kapsel mit Flüssigkeit um die einander gegenüber liegenden Knochenenden verfügt, entsteht ein Gasbläschen und dann ein Knacken, wenn dieses wieder platzt.
Es gibt drei Gründe, warum Manipulation nicht das ist, was wir im raum für chiropraktik praktizieren:
- Uns interessieren nicht nur Gelenke mit Kapseln, sondern auch andere Stellen im Körper, von den Nähten des Schädels über das Zwerchfell bis zu der Membran, welche das Nervensystem umgibt. Eine durchaus machtvolle Justierung ist die, welche über ein Band am Steißbein und den Gaumen ausgeführt wird. Einige von euch kennen das. Fühlt sich etwas seltsam an. Knackt niemals. Wirkt immer.
- Es gibt Justierungen, welche etwas Kraft brauchen- und es gibt solche, welche ganz und gar keine Kraft brauchen. Denn oft speichert das Körpersystem Stress im faszialen Gewebe- und dieses reagiert auf wenig Druck.
- Wir rücken mit einer Justierung keine Knochen zurecht und keine Gelenke gerade. Das geht gar nicht. Dein Körpersystem interessiert nämlich keineswegs, was wir wollen. In der Tat interessiert es noch nicht einmal so richtig, was du willst. Oder kannst du auf Befehl angespannte Muskeln in Entspannung versetzen? Wir können das auch nicht- zumindest nicht, indem wir auf sie oder auf Gelenke drücken. Was eine chiropraktische Justierung so besonders wirkungsvoll macht ist die Tatsache, dass wir eben NICHT meinen, deinen Körper (oder dich) ändern zu können. Stattdessen finden wir Stellen, an denen durch ein Trauma (klein oder groß, körperlich oder emotional, vorgestern oder vor 20 Jahren) eine Art blinder Fleck entstanden ist. Indem wir diese justieren, bekommt das Gehirn wieder Kontrolle über den Körper. Das reduziert Stress. Und damit geht auch die Anspannung weg.
Eine Subluxation* entsteht, wenn dein System auf körperlicher oder emotionaler Ebene überfordert wird. Anstatt eines Kollapses begünstigt das (intelligente!) Körpersystem ein Abschalten weniger wichtiger Funktionen.
Ganz plakativ könnte man sagen: Die Wirbelsäule ist der Sicherungskasten des menschlichen Körpers- fliegt ein Wirbel raus, ist das gesamte System gestört.
Nun haben wir ja schon gelernt, dass Wirbel nicht ausrenken. Und rausfliegen tun sie demnach erst recht nicht.
Wir haben außerdem erfahren, dass es bei einer Justierung ganz und gar nicht auf das Knackgeräusch im Gelenk ankommt- dass es nämlich an sich gar nicht um das Gelenk als solches geht.
Die Wirbelsäule interessiert uns unter anderem, weil sie eine überaus wichtige Informationsquelle für das Gehirn darstellt. Genauer gesagt: Die kleinen intrinsischen Muskeln, welche sich um ihre Gelenke schmiegen, agieren wie Agenten im Körper, welche dem Gehirn genaue Auskunft über die Position der Wirbelsäule liefern. Diese Information wird in der Hauptzentrale im Kopf abgeglichen mit dem Input aus den Gleichgewichtsorganen der Ohren und dem, was die Augen sehen. So weiß auch unser Verstand, wo wir uns im Raum befinden und was unser Körper gerade tut.
Es sei denn…
…das Körpersystem ist subluxiert. Du erinnerst dich vielleicht: Subluxation ist ein Begriff aus der klassischen Chiropraktik. Er fasst den Zustand des Körpersystems zusammen, welcher nach einem überfordernden (physischen oder psychischen) Trauma eintritt. Subluxation ist in der plakativen Sprache die rausgeflogene Sicherung.
Physiologisch betrachtet geschieht folgendes:
Eine traumatische Erfahrung (Beispiel: Großer Sturz ODER kleiner Schreck auf Grundlage eines eh schon angespannten Körpersystems) führt dazu, dass die ein Bereich der intrinsischen Muskulatur in der Wirbelsäule überlastet wird. Ein Riss in diesen Muskeln wäre dramatisch für den Körper, weil das Gehirn ja auf diese Informationsquelle angewiesen ist. Das Körpersystem schützt sich also, indem der inverse myotaktische Reflex ausgelöst wird: Die Kontraktion der überlasteten Muskeln wird unterbrochen, dafür wird der muskuläre Gegenspieler doller aktiviert.
Das ist so, als wenn du eine schwere Einkaufstasche hochhältst bis dein Bizeps komplett überlastet ist- anstatt zu reißen, schaltet er plötzlich ab und dein Trizeps kontrahiert. Dein Arm streckt sich- und bleibt da, bis der Reflex deaktiviert wird. Ansonsten ginge dein Arm nicht zurück in die Beugung.
Nun haben wir auf Bizeps und Trizeps bewussten Zugriff, denn sie gehören zu der extrinsischen Muskulatur. Aber die intrinsische Muskulatur der Wirbelsäule dient nicht dem Bewegen der Gelenke, sondern als Informationsquelle für die Position des eigenen Körpers. Das nennt sich Propriozeption.
Wenn diese kleinen Muskeln durch den oben beschriebenen Schutzreflex ausgeschaltet sind und ihr Gegenspieler umso stärker aktiviert ist, bleibt der Körper oft in dieser misslichen Lage hängen. Das Gehirn bekommt von diesem Bereich nun keine oder falsche Information geschickt. Meistens beides.
Das Gehirn muss nun die falsche Info mit der korrekten aus Auge, Ohr und den anderen Gelenken der Wirbelsäule abgleichen. Das passt nicht zusammen. Und führt zu Stress.
Was wir bisher etabliert haben:
- Dein Körpersystem ist intelligent. Es weiß sich zu schützen. Wenn also eine Überlastung droht, zum Beispiel durch einen plötzlichen Schock oder Ruck (körperlich und emotional), schalten kleine Muskeln in der Wirbelsäule ab und ihre jeweiligen Gegenspieler werden stärker aktiviert.
- Diese kleinen sogenannten intrinsischen Muskeln dienen nicht der Bewegung des Körpers (im Gegensatz zu bewusst steuerbaren extrinsischen Muskeln wir dem Bizeps oder Quadrizeps), sondern agieren als Informanten für das Gehirn: Sie melden die Position des jeweiligen Abschnitts der Wirbelsäule.
- Ein Abschalten der intrinsischen Muskulatur führt dazu, dass das Gehirn schlechter Bescheid weiß, was in dem betroffenen Bereich passiert. Dieser Zustand wird in der Chiropraktik Subluxation genannt.
Nun kommen wir zu einem kleinen Paradox in der Philosophie der Chiropraktik: Denn der ach so intelligente Körper schafft es in der Tat oft nicht, alleine aus dem subluxierten Zustand herauszukommen. Meistens braucht es eine Justierung, also Hilfe von außen.
Das liegt daran, dass der subluxierte Bereich für das Gehirn ein blinder Fleck ist: Es bekommt von dort weniger oder falsche Information geliefert und kann daher schlecht Kontrolle ausüben. Das ist ganz übel. Keine Kontrolle heißt Instabilität und Gefahr.
Das hat mehrere Dinge zu Folge:
- Stress. Denn fehlende Kontrolle ist so gar nicht unser Ding. Die Gesamtspannung des Körpersystems ist also hochgesetzt- das macht sich oft vor allem in den Bereichen bemerkbar, die Entspannung für optimale Funktion benötigen, nämlich Schlaf, Verdauung und Heilung alter Verletzungen.
- Kompensation durch die umliegende extrinsische Muskulatur. Wenn die kleinen Muskeln nicht mehr korrekt stabilisieren- dann übernehmen es halt die, welche eigentlich nicht dafür gebaut sind. Die Konsequenz? Angespannte Muskeln, die sich so auch weniger bewegen können. Siehe: Verspannter Nacken, Schulterblick nicht machbar, Rückenschmerzen.
- Erhöhtes Schmerzempfinden bei bestimmten Bewegungen. Man geht davon aus, dass das Körpersystem die Nozizeption (Schmerzwahrnehmung) in dem Bereich hochfährt, auf welchen das Gehirn weniger Kontrolle ausüben kann. Zur Sicherheit.
All das macht für das Körpersystem Sinn. Ist aber für uns als subluxierten Menschen echt unangenehm. Stress, Anspannung, fehlende Beweglichkeit und Schmerz. Will man nicht.
Alles, was es in dieser vertrackten Situation braucht, ist einen helfenden Impuls für das Gehirn, damit es den blinden Fleck wieder mit korrekter Information füllen kann. Eine Justierung.
* Das Wort Subluxation ist tief in der chiropraktischen Geschichte verankert und in seiner chiropraktischen Definition nicht mit der medizinischen gleichzusetzen. Selbst in der Welt der Chiropraktik ist der Gebrauch in manchen Kreisen umstritten. Wir finden aber, dass kein anderes Wort bei der Breite des Bedeutungsumfangs mithalten kann.